Fortgeschrittene systemische Mastozytose
AdvsM (Advanced systemic mastocytosis)
AdvsM (Advanced systemic mastocytosis)
Als fortgeschrittene systemische Mastozytose (kurz: advSM für advanced systemic mastocytosis) bezeichnet man eine Gruppe von seltenen, bösartigen Erkrankungen des Knochenmarks. Sie ist durch eine unkontrollierte Anhäufung von abnormen Mastzellen in verschiedenen Organen (v.a. Leber, Milz, Darmtrakt, Lymphknoten, Knochenmark und auch der Haut) gekennzeichnet.
Mastzellen (Mastozyten) werden im Knochenmark gebildet und zählen zu den weißen Blutkörperchen (Leukozyten). Sie sind damit Teil unseres Abwehrsystems. Ihre Aufgabe ist es, bestimmte Botenstoffe (z.B. Histamin) freizusetzen und so das Immunsystem aufzufordern, Krankheitserreger zu bekämpfen.
Je nach Verlauf unterteilt man die AdvSM in drei Subtypen:
Die Erkrankung ist nicht heilbar und bei den meisten Patienten verschlechtert sich der Gesundheitszustand laufend, wobei immer mehr Organe betroffen sind.
Die fortgeschrittene systemische Mastozytose ist eine sehr seltene Erkrankung. Etwa 1 – 2 von 1 Million Personen trifft diese Diagnose. Zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr ist das Krankheitsrisiko am höchsten. Männer erkranken etwas häufiger als Frauen.
Die Ursache einer AdvSM konnte bisher noch nicht vollständig geklärt werden. Bei etwa 80 – 95% aller Patienten mit systemischer Mastozytose kann jedoch eine genetische Veränderung im KIT-Gen nachgewiesen werden, das die Entwicklung von Mastzellen steuert.1 Mutiert dieses Gen, signalisiert es dem Körper ständig, neue Mastzellen zu produzieren. Diese Mastzellen haben dazu auch noch eine längere Überlebenszeit als gewöhnlich. Besonders häufig kann die sogenannte KIT-D816V-Mutation nachgewiesen werden.
Trotz der Gen-Mutation ist die fortgeschrittene Mastozytose keine vererbbare Erkrankung, sondern erworben. Sie hat auch keinen anderen Auslöser, wie etwa Strahlenbelastung, Medikamente oder Chemikalien.
Die Beschwerden entstehen zum einen durch die Anhäufung entarteter Mastzellen in einem Organ, das sich vergrößert und in seiner Funktion beeinträchtigt wird. Diese Schäden können so schwerwiegend sein, dass sie zu einem Organversagen und zum Tod führen. Zusätzlich treten Beschwerden auf, die durch die Ausschüttung von Mediatoren (Botenstoffe wie Histamin, das eine allergische Reaktion auslöst oder Zytokine, die z.B. bei einer Entzündung bestimmte Abwehrzellen im Immunsystem aktivieren) verursacht werden.
Die Beschwerden treten abhängig davon, welche Organe betroffen sind, auf.
Die Erkrankung kann sehr viele unterschiedliche Symptome hervorrufen, die zusätzlich auch sehr unspezifisch sein können. Das kann die Diagnose erschweren.
Die typischsten Symptome sind:
Die Beschwerden der fortgeschrittenen systemischen Mastozytose sind unspezifisch. Das bedeutet, es gibt keine "typischen" Krankheitszeichen und die Diagnosestellung verlangt mitunter detektivische Fähigkeiten. Dementsprechend lange und frustrierend ist oft der Weg für Patienten, bis sie zu einer gesicherten Diagnose kommen.
Erste Anlaufstelle ist häufig der Hausarzt, der – je nachdem, ob Hautsymptome vorliegen oder nicht – die Überweisung zu einem Dermatologen veranlasst oder selbst auf Spurensuche geht. Abhängig von den Beschwerden und Ergebnissen der durchgeführten Untersuchungen wird der Patient danach entweder bei einem Internisten, Hämatoonkologen, Radiologen oder Neurologen vorstellig.
Weitere Untersuchungen werden je nach Beschwerdebild durchgeführt. So kann durch eine Osteodensitometrie eine Osteoporose ausgeschlossen oder bestätigt werden. Bei Magen- und Darmbeschwerden wird eine Gastro- oder Koloskopie vorgenommen. Bei schweren allergischen Reaktionen (z.B. Anaphylaxie nach einem Bienen- oder Wespenstich) ist auch eine allergologische Diagnostik erforderlich.
Die Diagnose einer systemischen Mastozytose gilt laut der Weltgesundheitsorganisation WHO dann als bestätigt, wenn das Hauptkriterium und ein Nebenkriterium oder drei Nebenkriterien erfüllt sind.
Hauptkriterium:
Nebenkriterien:
Abhängig vom Krankheitsverlauf stehen unterschiedliche Medikamente bzw. Wirkstoffe zur Verfügung. Eine Heilung der advSM ist bisher leider nicht möglich. Die Symptome der Erkrankung lassen sich jedoch oft gut kontrollieren und die Beschwerden damit lindern. Die verfügbaren Behandlungsoptionen werden individuell je nach Krankheitsbild eingesetzt. Ziele der Behandlung sind, die Anzahl an Mastzellen zu reduzieren, die Produktion von Mastzellenprodukten (z.B. das Enzym Tryptase) zu hemmen und die Freisetzung von Botenstoffen (z.B. Histamin) zu reduzieren.
Bestimmte Umstände und Faktoren („Trigger“) begünstigen das Auftreten von Symptomen oder verschlimmern sie. Diese Trigger sind sehr individuell und es gilt, sie gemeinsam mit dem behandelnden Arzt herauszufinden. Typische Trigger sind emotionaler Stress, körperliche Anstrengung, Alkohol, Infektionen und bestimmte Medikamente. Kennt man sie, ist die Beratung und Schulung besonders wichtig, wie man solche Situationen meiden kann und wie man sich im Notfall verhält.
Wichtig zu wissen ist, dass AdvSM-Patienten ein erhöhtes Anaphylaxie-Risiko haben. Eine Anaphylaxie ist die Maximalvariante einer allergischen Reaktion, die durch die übermäßige Ausschüttung von Histamin ausgelöst wird. Anaphylaktische Reaktionen können mitunter innerhalb weniger Minuten zum Kreislaufzusammenbruch führen und somit lebensbedrohlich sein. Die Patienten sollten daher unbedingt mit einem Notfallset ausgerüstet werden, das neben antiallergischen Medikamenten einen Adrenalin-Autoinjektor enthält, mithilfe dessen sich der Kreislauf rasch wieder stabilisieren lässt.
Zur Behandlung einzelner Beschwerden haben sich folgende Wirkstoffe besonders bewährt:
Das Ziel der zytoreduktiven Therapie ist es, die Anzahl der Mastzellen im Gewebe wieder auf eine normale Zahl zu bringen, um Symptome der Erkrankung zu mildern. Die verwendeten Medikamente bezeichnet man als Chemotherapeutika oder Zytostatika. Ihre Wirkstoffe richten sich gegen die Erbsubstanz aller Zellen, die sich in der Vermehrungsphase befinden und teilungsaktiv sind. Sie verteilen sich in den verschiedenen Organen und können dadurch auch potenziell verstreute Mastzellen erreichen und zerstören. Von den sterbenden Mastzellen angelockt, wandern Immunzellen in das absterbende Gewebe ein und nehmen beschädigte Zellen auf. Dabei werden auch Mastzellen beseitigt, die die Behandlung möglicherweise überlebt haben.
Bei manchen Patienten kann auch eine Stammzelltransplantation effektiv sein. Diese Therapie ist die einzige kurative Behandlungsoption. Retrospektive Analysen stimmen zuversichtlich, aussagekräftige Studien fehlen allerdings noch.
Für Patienten mit AdvSM ist es besonders wichtig, die Auslöser der Symptome zu kennen und zu meiden. Auch starke physische und psychische Belastungen sollten vermieden werden.
Ein gesunder Lebensstil wie leicht verdauliche und histaminarme Ernährung, Bewegung und Ausdauersport wie Wandern, Joggen, Radfahren, Schwimmen, Tennis, Golf oder Tanzen kann zum besseren Wohlbefinden beitragen. Maßnahmen zur Entspannung durch autogenes Training, Meditation, progressive Muskelentspannung, Visualisierungen oder Yoga sind empfehlenswert.
Reisen können in Absprache mit dem Arzt unternommen werden. Dabei sollte auf ausreichenden Schutz vor UV-Strahlung oder auf wohl temperierte Räume und entsprechende Kleidung geachtet werden.